Der Blues der Schanze

Der wohl schmalste Jazzclub der Welt steht auf einem Parkplatz im Schanzenviertel: Thorsten Fixemer hat den „Mobile Blues Club“ aus einem alten Packwagen geschaffen, um Kunst vor Kommerz zu schützen

von Markus Böhle und Linda Richter

Immer auf Achse: Der Mobile Blues Club

„Blues ist einfach eine wunderbare Musik“, sagt Thorsten Fixemer. Er sitzt auf einem Barhocker im Mobile Blues Club und lauscht der Melodie, die aus den Lautsprechern klingt: Jazz aus den 30er Jahren, passend zum Ambiente. Auf der Bühne steht ein altes Klavier, am Eingang grüßt die selbst gebaute Bar, im Ofen glühen Briketts. „Ich bin Liebhaber von alten Sachen“, sagt er. Bilder und Fotografien zieren die karminroten Wände, Spiegel lassen den Wagen größer wirken als er ist – zwölf auf zweieinhalb Meter.

Von der Straße aus betrachtet ist der Mobile Blues Club ein Geheimnis: Ein alter Packwagen auf einem Parkplatz, bemalt mit den Lettern „MBC“; doch ohne Fenster, die Einblick in sein Inneres gewährten. Wer nicht ahnt, was sich darin verbirgt, geht an der Eingangspforte vorbei, unter der Bahnlinie hindurch, zum großen Rummel der Schanze. Für diejenigen aber, die im Klub ein- und ausgehen, ist der Wagen etwas Besonderes, „ein Stück alte Schanze“, wie es ein Besucher ausdrückt.

„Wenn die Leute das so sehen, freut es mich natürlich“, sagt Fixemer. Seine  Freunde und Bekannte wissen, wie viel Energie es ihn gekostet hat, diesen Traum zu verwirklichen. Von Anfang an hat er der Kunst den Vorrang gegeben, nicht der Kasse. Wer so idealistisch denkt, hat es schwer sich in der Schanze zu behaupten; wer so denkt, der muss sich  etwas einfallen lassen. Thorsten Fixemers  Idee war so einfach wie genial: Räder.

In den vergangenen zehn Jahren mussten viele kleinere Klubs in St. Pauli oder Altona schließen, weil die Vermieter den Mietzins erhöhten oder die Grundstücke weiterverkauften. Der damalige Straßenmusiker fand diese Entwicklung bedauerlich – und kam auf die Idee mit dem Wagen: „Mit dem Mobile Blues Club kann das nicht passieren, er zieht einfach weiter, und taucht irgendwo anders wieder auf“.

Zwei Leidenschaften verbunden

Schon im Kindesalter begann Fixemers Faszination für große Fahrzeuge. Sein Vater betrieb eine Buswerkstatt und brachte ihm früh bei, Busse und Wagen zu reparieren. „Manchmal wenn ich ihn dort besucht habe, hat er in einem der Busse geschlafen.  Da habe ich zum ersten Mal gemerkt, was man mit solchen Fahrzeugen alles machen kann.“

Die zweite große Leidenschaft entdeckte er mit 21 Jahren: den Blues. Damals arbeitete er als Schlosser und fuhr nebenbei eine Bluesrock-Band zu ihren Auftritten. Fixemer erinnert sich: „Die Band hieß ‚LouiZiana Hayriders‘, ich fand deren Musik einfach toll. Der Kontrabass hat mich am meisten bewegt.“ Er fragte den Bassisten, ob er ihm etwas beibringen könne. „Da hat er mir seinen Kontrabass geliehen und den ersten Lauf gezeigt“.

Das Instrument fesselte ihn und ließ ihn nicht mehr los. Mit einem Freund spielte er auf der Straße und in kleinen Klubs. Mit einem Lächeln denkt er an die Zeit zurück: „Wir haben acht Jahre lang intensivstes Straßenmusikstudium betrieben, fast jeden Tag zusammen gespielt. Wann immer es nur ging.“

Immer auf dem Sprung

Als er das Klubsterben nicht mehr hinnehmen wollte, begann er vor fünf Jahren seinen Traum zu verwirklichen: den Mobile Blues Club. Er ersteigerte einen kleinen Wagen, mit dem damals alles begann, und den er später durch einen größeren ersetzen sollte. Fixemer parkte den Wagen zunächst im Schanzenpark vor dem Wasserturm. „Das war noch ein bisschen illegal, weil ich keine Genehmigung hatte“, gibt Fixemer zu. Er musste den Platz bald räumen, zumal der Turm gerade in ein Hotel umgebaut wurde.

Der Wagen zog zur Miete an die Eifflerstraße, dort konnte er bleiben – bis die Stadt auf der Fläche ein Feuerwehrhaus errichten wollte. Fixemer zog immer weiter, ließ sich nie unterkriegen: „Eine Zeitlang war ich auf einem Parkplatz in Altona, dort durfte ich aber immer nur am Abend und in der Nacht stehen. Also musste ich hinfahren, alles für ein Konzert aufbauen, und danach wieder zusammenpacken und wegfahren. Da war ich bis sechs Uhr morgens beschäftigt –  und das Ganze für ungefähr 10 Euro in der Kasse.“

Kunst kommt vor Kasse

„Wenn ich mit dem Wagen nur geschäftliche Ambitionen hätte, wäre es natürlich Quatsch, das so zu machen“, sagt Fixemer. Geld nimmt der Mobile Blues Club fast nur über den Getränkeverkauf ein, denn Eintritt kosten die Veranstaltungen selten. Auch die Künstler spielen ohne Gage, sie bekommen den Inhalt eines Hutes, der am Ende des Abends für sie reihumgeht. Zahlen muss Fixemer dagegen für die Parkplatzmiete, den Strom und den Tankwagen, der regelmäßig die Toilette absaugt.

Das große Geld macht er mit dem Wagen also nicht – das will er aber auch gar nicht. „Ich bin sehr glücklich und dankbar für alles, was ich mit dem Wagen bisher erlebt habe“, sagt er. „Es macht einfach viel Spaß, wenn man seinen Traum leben kann und daran arbeitet.“ Den Lebensunterhalt verdient sich der Familienvater vor allem über Transporte von Bau- und Zirkuswagen und über Auftritte mit seiner Band „Hasty Medicine“.

Unterstützung für den Club erhält er von Freunden und Bekannten. Einige halfen ihm mit Auftritten im Club, andere bei der Gestaltung des Wagens – ein befreundeter Graffitikünstler verpasste ihm von außen den Look eines Zirkuswagens.  Inzwischen engagieren sich acht ehrenamtliche Helfer für die Idee des Mobile Blues Clubs, schenken Getränke aus oder buchen Bands: „Unbekannte Straßenmusiker dürfen genauso auftreten wie bekannte Künstler aus anderen europäischen Ländern oder den USA, die einfach mal auf so einer kleinen Bühne spielen wollen“, sagt Fixemer.

Mork's Medicine aus Norwegen bei einem Auftritt im Mobile Blues Club

Zukunftspläne

Die größte Unterstützung für ihn ist Anuschka Thomas. Vor zwei Jahren lernten sich die beiden kennen, als die Schauspielerin im Klub ein Theaterstück aufführte. Heute sind die beiden ein Paar, leben zusammen auf dem Land und planen gemeinsam neue Projekte: Der Mobile Blues Club soll noch gemeinnütziger werden. Der kleinere der beiden Wagen, der meistens bei ihnen zuhause steht, soll sich in ein fahrendes Theater verwandeln, in dem Jugendliche eigene Stücke aufführen. Auf sechs Sommerfesten in verschieden Stadtteilen sollen außerdem Kinder darin spielen, malen oder musizieren.  Bei der Kulturbehörde der Stadt haben sie dafür einen Antrag auf Förderung gestellt.

Für Kinder liest Anuschka im Mobile Blues Club seit kurzem Märchen vor. Die ersten Märchenstunden blieben noch ohne große Resonanz, doch die beiden sind geduldig: „Alles was wirklich toll werden soll, braucht seine Zeit zu wachsen“, sagt Fixemer. „Ich sehe das an meinen Kindern, und so ist es auch mit unseren Projekten und den Wagen“.

Die Zeit hat ihm bisher Recht gegeben. Ob der Klub auch in einem Jahr noch auf dem Parkplatz am Schulterblatt steht, ist zwar ungewiss, denn „das gesamte Gelände soll irgendwann verkauft werden.“ Aber das wird nicht das Ende des Mobile Blues Clubs bedeuten. „Irgendwo in der Schanze werde ich schon wieder auftauchen“, verspricht Fixemer, „das weiß ich einfach.“

3 Kommentare

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3 Antworten zu “Der Blues der Schanze

  1. Pingback: Außen Zirkus, Innen Blues « Markus Böhle | Journalist

  2. Laura

    Sehr, sehr schöner Beitrag! 🙂

  3. monika

    Sehr, sehr gut und spannend gemachter Beitrag (auch das Video). Macht mich so neugierig, dass ich da bestimmt mal hingehe bei meinem nächsten HH-Besuch.
    Monika

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